New Work setzt voraus, dass es so etwas wie Old Work, also alte Arbeit, gibt. Was ist das dann? Als „alte Arbeit“ bezeichnet Frithjof Bergmann, der Entwickler des New-Work-Konzepts (siehe Infokasten) klassische Lohnarbeit, also Arbeit, die man ausschließlich der Bezahlung wegen erledigt. Er spricht gern davon, dass viele Menschen ihre Arbeit eigentlich nicht mögen, sie als eine milde Krankheit empfinden, die sie erdulden, aber eigentlich gern loswerden würden. Das kennen Sie? Naja, fast jeder kennt das, irgendwie.
Wird der Beruf zur Berufung ist der wichtigste Schritt zur New Work getan.
Bergmann will, dass sich Menschen damit beschäftigen, was sie wirklich wollen. Das macht man dann gern und sicher auch genau deshalb besser, was wiederum allen nur Vorteile bringt. Dazu braucht man aber auch einen bewussten Umgang der Vorgesetzten mit dem Abgeben von Verantwortung, um Erfüllung in der Arbeit zu ermöglichen. Jeff Kaplan, Chefentwickler beim Computerspielhersteller Blizzard Entertainment (kennen Spielefans als Macher von „World of Warcraft“), über seine Rolle als Chef: „Ich weiß, dass Entwickler aus der ganzen Welt gern für Blizzard arbeiten würden. Also haben wir einige der besten Leute bei uns. Die sollten wir auch Entscheidungen treffen lassen. Hin und wieder gibt es einen Konflikt, bei dem ich das letzte Wort haben muss. Das fühlt sich dann wie ein Scheitern an. Wenn ich niemals eine Entscheidung treffen muss, weil das Team das erledigt, habe ich als Chef gewonnen.“
„Die Leute, der Arbeitsplatz, die Technologie – das sind die drei entscheidenden Faktoren, die über den Erfolg eines Büros entscheiden“, sagt Jeremy Myerson, Professor am Helen Hamlyn Centre for Design des Royal College of Art in London. Außerdem sieht er anspruchsvolle Herausforderungen für Arbeitgeber: „Firmen müssen zwei Faktoren unter einen Hut bekommen: Menschen wollen Verantwortung für ihre individuelle Arbeit übertragen bekommen, haben aber auch gleichzeitig das Bedürfnis Teil einer Gruppe zu sein – in einer Zeit, in der auf diversen Ebenen flexiblere Arbeitsbedingungen herrschen.“
Unternehmer – Enfant terrible Richard Branson hat vor zwei Jahren ein amüsantes Experiment mit seiner Virgin Group durchgeführt. Für nur einen Tag, den sie „a corporate day“ nannten, wurden alle Angestellten aufgefordert, pünktlich um 9 Uhr früh in formell korrekter Businesskleidung zu erscheinen, sich zu siezen, während der Arbeitszeit keine sozialen Netzwerke zu besuchen und keinerlei private Telefongespräche zu führen. Richard Branson kommentierte den Tag danach als „eine fürchterliche Erfahrung für alle“. Der Sinn des Ganzen, so Branson, habe darin gelegen den Kollegen einen Eindruck davon zu vermitteln, wie es noch immer bei vielen Firmen weltweit alltäglich zugeht. Er leitet sein Virgin-Imperium nach dem Prinzip, dass den Angestellten mehr selbstbestimmte Flexibilität zugestanden werden sollte, sie bitte in Kleidung erscheinen, in der sie sich wohlfühlen, gern auch Teile der Arbeit im Homeoffice erledigt werden und der Wunsch nach einer längeren Auszeit auch jedem ermöglich werden sollte. So erreicht er weniger Fluktuation in seinen Unternehmen und eine motivierte Einstellung der Angestellten, die ihr Potenzial gern voll entfalten, um mit mehr Freude mehr zu erreichen.
Hier sind traditionell Respekt und Wertschätzung in Mode.
Der italienische Modedesigner und Unternehmer Brunello Cucinelli zeigt auf seine Weise, dass Arbeit mit Würde zu tun hat. Seine Ende der 70er-Jahre gegründete heutige Aktiengesellschaft Brunello Cucinelli S.p.A. beschäftigt ca. Tausend Angestellte in Umbrien. Er zahlt 20 % über dem Durchschnitt und fördert eine offene Firmenstruktur, bei der sich jeder einbringen kann. Er meint dazu: „Das kann auch gut fürs Image sein, aber es hilft vor allem der Kreativität. Wenn man gut behandelt wird, dann arbeitet man auch viel besser. Jeder Mensch hat eine Würde, und die muss man respektieren.“ Ganz klar bekennt er: „Mein Traum ist es, Arbeit menschlicher zu machen.“
Damit ist Cucinelli nahe an der Erweiterung des Gedankens, nicht allein auf das individuelle Wohl des Einzelnen zu achten, sondern Firmen zur Förderung des Gemeinwohls zu verpflichten. Die allgemein eher als deutlich suboptimal angesehene Unternehmenskultur in Frankreich will Präsident Macron zusammen mit seinem Wirtschaftsminister Le Maire nun durch neue soziale Ziele verbessern. Der französische Unternehmerverband Medef ist dagegen. Einzelne Unternehmen signalisieren aber ausdrücklich ihre Unterstützung, so Lebensmittelmulti Danone und Energie- und Entsorgungsspezialist Veolia. Was Macron hier als Verpflichtung durchsetzen will, funktioniert freiwillig schon seit einigen Jahren in den USA.
33 US-Bundesstaaten haben bereits im Jahr 2010 die „Benefit Corporation“ eingeführt.
Das ist eine Institution, der sich profitorientierte Unternehmen anschließen können. Damit verpflichten sie sich, nachweislich zur Mehrung des Gemeinwohls beizutragen. Ob für den Einzelnen oder für das Gemeinwohl, die Ideale von New Work setzen sich in der Arbeitswelt mehr und mehr durch. Und warum? Die sogenannten „Millennials“ (geboren in den 80ern und 90ern) werden im Arbeitsmarkt dominanter. Ihr Ideal des Arbeitsalltags wird von zwei Faktoren bestimmt: Wohlfühlen bei und mit der Arbeit und Sinnhaftigkeit im Arbeitsalltag. Wer diese Generation für sich gewinnt, wird von ihrer Motivation und Expertise profitieren können.
Frithjof Bergmann
Frithjof Bergmann ist der Begründer der New-Work-Bewegung. Der 1930 geborene Philosoph hält den Lehrstuhl für Philosophie und für Anthropologie an der University of Michigan in Ann Arbor, lehrte unter anderem in Princeton, Stanford und Berkeley. Er hat auch als Gastdozent in Kassel/Deutschland gearbeitet. Nach wie vor aktiv, hielt er 2017 auf der „New Work Experience“ des Online-Netzwerks Xing in Berlin einen mit Standing Ovations bedachten Vortrag. Hier sagte er: „Alle, die sich nicht die Frage stellen, was sie in ihrem Leben wirklich wollen, kapitulieren. Sie sind Feiglinge.“ Interessanterweise gab ihm eine Reise in den Ostblock Ende der 70er-Jahre den Anstoß zu seiner New-Work-Idee. Er sah den Zusammenbruch des Kommunismus unausweichlich kommen und den Kapitalismus als den einzigen Überlebenden. Dazu müsste es doch einen sinnvollen Gegenentwurf geben! Oder eine reife Weiterentwicklung? New Work! Das Prinzip ist nicht das Streben nach Profit, sondern die Erfüllung der wahren menschlichen Bedürfnisse. Bergmann will den Menschen nicht von der Arbeit befreien. Sein hoher Anspruch liegt darin, dass Arbeit freie und selbstbestimmte Menschen hervorbringen soll. Eine knappe Autostunde nördlich seiner Lehrstätte Ann Arbor und der Autometropole Detroit gründete er 1984 das erste „Zentrum für neue Arbeit“ in der Industriestadt Flint/Michigan. Seitdem ist er ein hochgeschätzter Berater von Firmen, Gewerkschaften und Regierungen rund um das Thema Arbeitswelt.
